Wilhelm von Humboldt           Nr. 569 vom 22. Juli 1833

1767 – 1835

Nicht alle kehren von der Wandrung wieder,

die Kraniche, die in gedehnter Reihe

mit laut den Flug begleitendem Geschreie

hoch in den Lüften schwingen das Gefieder.

 

Der Menschenwandrer hört die muntren Lieder

und schaut vertrauend auf zur ewgen Bläue,

daß er auch seiner Heimkehr sich erfreue,

so setzt er mutig Fuß um Fuße nieder.

 

Das Schicksal beiden in der Stille webet,

was sie aus seiner Hand empfangen sollen,

und keiner in der tiefen Brust es ahnet.

 

Doch plötzlich, ehe noch sie Warnung mahnet,

des Vorhangs finstre Falten sich entrollen,

und Mensch und Vogel nicht mehr vorwärts strebet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 607 vom 30. 8. 1833

                                               Der Dichter

 

Der Dichter alles mit Gestalt umkleidet,

Und nichts, was nicht bestimmt geformt ist, leidet;

Er will sich dumpf nicht in Gedanken drehen,

Ein Bild das Auge fest begränzt soll sehen.

 

Und doch der Dichter das Vereinzeln meidet,

Die Fülle hin der Phantasie gern geudet,

Und wo die Gränzen in einander gehen,

Am freisten seines Geistes Hauche wehen.

 

Dies er begeistert also eng verbindet,

Daß in dem Einen stets das All sich findet,

Von andrem Umriß immer nur umschlossen;

 

Daß seines Busens ganze reiche Fülle

Aus ihrer Tiefe unentweihter Stille

Er fühlt in seine Dichtung rein ergossen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 633 vom 23. September 1833

 

...

Schwer über mir sich euer Wipfel wieget,

Cypressen, die zum finstern Himmel ragen...

 

...

Was eure Macht mir auch für Schauer sende,

ich gehe mutvoll in euch hin und wieder,

wie Jahrsbeginn sich schließt and Jahresende.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 640 vom 30. 9. 1833

 

...

Wie Heimat es vielleicht uns einst durchdringet,

daß, wenn wir von der Erde dort genesen,

uns ist, als wären längst wir da gewesen.

...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 651 vom 11.10. 1833

 

...

Wenn man ein anmutreiches Tal sich denket,

mit tausend duftgen Blumen angefüllet,

...

wenn man den Blick zum nächtgen Himmel lenket,

 

wo strahlend Licht aus tausend Sternen glimmet,

und Licht und Nacht der Seele Sehnsucht stillet:

kann man in beiden Bildern sie erkennen.

...